Besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA): Kritik und Widerstand

Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) führt derzeit mit Verve ihr besonderes elektronisches Anwaltspostfach ein. Sie fordert von allen deutschen Rechtsanwälten eine Erstregistrierung mit einer extra zu mietenden (nur für die Erstanmeldung unbedingt nötigen) Chipkarte und mit einem extra zu erwerbenden und auf den überfüllten Schreibtisch zu stellenden Chipkartenleser. Es sei wichtig und eilig, denn angeblich wird das beA aller deutschen Rechtsanwälte ab dem 01.01.2016 empfangsbereit gehalten, auch ohne deren Zutun, und es würden sich angeblich Haftungsrisiken ergeben, wenn man es nicht überwacht.

Dabei scheint sie etwas Entscheidendes zu ignorieren, was gerade für Juristen sehr peinlich ist: Offenbar handelt die BRAK mit diesem offensiven Vorgehen ohne Rechtsgrundlage und damit rechtswidrig. In einer ausführlichen Stellungnahme kommt der Kollege Dr. Marcus Werner aus Köln zu dem Ergebnis, daß das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten eine antragslose Empfangsbereitschaft des beA nicht vorsieht.

Neben den vom Kollegen ausführlich geprüften Auslegungsfragen und der erfolglosen Suche nach einer gesetzlichen Grundlage für die behaupteten Anwaltspflichten ist das Vorgehen der BRAK auch politisch interessant. Da vor dem 01.01.2018 eine Pflicht von Rechtsanwälten, am elektronischen Rechtsverkehr teilzunehmen, ganz offensichtlich nicht existiert, fragen sich Kammermitglieder und somit Zwangsbeitragszahlende, weshalb sie bereits seit dem Jahr 2014 über einen erhöhten Kammerbeitrag für eine Infrastruktur zahlen müssen, die erst ab dem 01.01.2018 genutzt werden muß – und voraussichtlich erst ab 01.01.2022 sinnvoll genutzt werden kann, da für die Gerichte der elektronische Rechtsverkehr erst im Jahr 2022 unausweichlich kommt.

Weiter stellt sich die Frage, ob die BRAK angesichts der ohnehin per Zwangsbeitrag eingetriebenen Jahresgebühren eine Lösung wählen darf, die weitere Kosten zugunsten eines IT-Dienstleisters, nämlich die jährliche Miete sogar für Softwarezertifikate, für den einzelnen Anwalt verursacht. Auch hier ist keine Rechtsgrundlage erkennbar.

Konsequenterweise gibt es zahlreiche Kolleginnen und Kollegen, die einen Antrag auf Erstregistrierung noch nicht gestellt haben und dies auch nicht vorhaben.

Die BRAK, die die Vorder- und Rückseiten ihrer Publikationen gerne und regelmäßig ganzseitig an große Anbieter von Anwaltssoftware (selbstverständlich beA-geeignet) verkauft, äußert sich gegenüber Kammermitgliedern nicht zu diesen Fragen. Entsprechende Mails werden einmalig von der Pressesprecherin mit Textbausteinen beantwortet, konkrete Nachfragen dann gar nicht mehr. (Stand: 13.11.2015)

Nachtrag vom 26.11.15
Die Legal Tribune Online liefert Zahlen: Von 165 000 Rechtsanwälten haben erst 45 000 eine beA-Karte bestellt und somit einen Antrag auf Erstregistrierung gestellt. Das hängt vermutlich mit der immer deutlicher werdenden Erkenntnis zusammen, daß die deutschen Gerichte erst frühestens zum 01.01.2018 den elektronischen Rechtsverkehr nutzen müssen.

Nachtrag vom 27.11.15: BRAK verschiebt das beA
Die Bundesrechtsanwaltskammer hat in einer Pressemitteilung angekündigt, den Start des beA verschieben zu wollen, da »die Qualität des beA noch nicht den Erwartungen der BRAK entspricht«. Hoffentlich äußert man sich demnächst noch etwas genauer, welche Qualitätserwartungen denn jetzt konkret enttäuscht wurden. Ich vermute, die BRAK hat erst an den gegen sie beantragten Einstweiligen Anordnungen bemerkt, daß dem beA eine ganz entscheidende Qualität fehlt: es solange ausgeschaltet lassen zu können, bis die Rechts- und Antragslage die Freischaltung zuläßt. Interessant ist auch, daß jetzt enttäuschte Erwartungen ausreichen, um eine zum 01.01.2016 angeblich bestehende gesetzliche Pflicht einfach zu ignorieren.

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